Haben größere Gehirne bessere Erinnerungen?

Haben größere Gehirne bessere Erinnerungen?

2. März 2020 0 Von Horst Buchwald

Haben größere Gehirne bessere Erinnerungen?

New York, 2.3.2020

Viele Jahre lang glaubten Wissenschaftler, dass größere Gehirne (oder genauer gesagt ein größerer Hippocampus) mit einer höheren Begabung in Verbindung gebracht werden und dass kleinere Gehirne dann zwangsläufig ein Zeichen für eine geringere Begabung oder sogar für einen kognitiven Rückgang sind, wenn sie durch eine neurologische Krankheit wie Alzheimer verursacht werden. Und obwohl einige Studien darauf hindeuteten, dass es möglicherweise keine so einfache Beziehung gibt, waren die Wissenschaftler unsicher, was ein alternatives Modell sein könnte. Bis jetzt.

Eine im Dezember 2019 in der Fachzeitschrift Cerebral Cortex veröffentlichte Studie hat erstmals gezeigt, dass nicht unbedingt die Größe des Hippocampus ausschlaggebend ist, sondern vielmehr, wie gut er über die intakte limbische weiße Substanz mit den internen Schaltkreisen des Gehirns verbunden ist. Mit anderen Worten, die Studie legt nahe, dass der kognitive Rückgang eher auf eine sich verschlechternde Verbindungen der Schaltkreise als auf einen kleineren Hippocampus allein zurückzuführen sein könnte.

Die Puzzleteile des Gedächtnisses

Der Hippocampus ist ein kleines, seepferdchenähnliches Stück des Gehirns, das tief im Temporallappen vergraben ist – dem Epizentrum aller Dinge, die Lernen und Gedächtnis betreffen. Trotz seiner wichtigen Rolle ist der Hippocampus aufgrund seines formbaren und verletzlichen Äußeren jedoch Schäden ausgesetzt, darunter neurologische und psychiatrische Störungen. Insbesondere wurde beobachtet, dass der Hippocampus im Gehirn von Alzheimer-Patienten schrumpft.

Die limbische weiße Substanz ist dagegen etwas schwieriger direkt zu erfassen. Während ein C-förmiges Nervenbündel (Fornix genannt) in erster Linie für die Signalübertragung zum und vom Hippocampus verantwortlich ist, ist das limbische System als Ganzes eine komplexe Mikrostruktur, die Emotionen, Erinnerungen und unsere Sinne verwaltet.

Das Geheimnis entschlüsseln

Um zu untersuchen, wie diese beiden Teile des Gehirns zusammenarbeiten, um Gedächtnis und Kognition zu beeinflussen, untersuchte das Forscherteam der Michigan State University die Gehirnscans von 337 älteren Erwachsenen, die zu etwa zwei Dritteln männlich und zu einem Drittel weiblich sind und ein Durchschnittsalter von 69 Jahren haben.

Um den Grad ihres Arbeitsgedächtnisses zu bestimmen, absolvierten die Probanden fünf Sitzungen von Gedächtnisabfrage-Tests, bei denen ihnen dieselbe Liste von 15 Substantiven vorgelesen wurde und sie gebeten wurden, nach jeder Runde so viele aufzuschreiben, wie sie erinnern konnten.

Das Forschungsteam analysierte dann zwei verschiedene Arten von MRT-Scans – einen von ihrem Hippocampus und einen von ihrer limbischen weißen Substanz. Das Team beobachtete, dass Teilnehmer mit sowohl vergleichsweise größeren Hippocampus als auch gleichförmiger limbischer weißer Substanz ein stärkeres Erinnerungsvermögen hatten als Personen mit kleineren Hippocampus oder weniger gleichförmiger limbischer weißer Substanz. Gleichförmig bezieht sich in diesem Fall auf die Ausrichtung der Mikrostruktur der limbischen weißen Substanz: Weiße Substanz, die in einer Richtung ausgerichtet ist (wie die Maserung eines Holzbrettes), schien das Gedächtnis besser zu fördern als die Mikrostruktur der weißen Substanz, die in vielen verschiedenen Richtungen ausgerichtet ist. Dies deutet darauf hin, dass die Größe des Hippocampus allein kein Zeichen für geistige Eignung ist und dass ein schrumpfender Hippocampus nicht unbedingt ein genauer Biomarker für Krankheit oder altersbedingten kognitiven Rückgang ist. So könnte beispielsweise ein an Alzheimer leidender Patient Anzeichen eines kognitiven Rückgangs zeigen, während er immer noch einen größeren Hippocampus hat, wenn seine limbische Mikrostruktur der weißen Substanz nicht einheitlich ausgerichtet ist. Nach Ansicht der Autoren der Studie könnten diese Befunde bei Erwachsenen, deren Hirnscans einen größeren Hippocampus zeigen, zu einer früheren Diagnose von altersbedingten Gedächtnisstörungen führen. Aufgrund ihres größeren Hippocampus besteht bei diesen Erwachsenen die Gefahr, dass ihr „kognitiver Rückgang übersehen oder falsch charakterisiert wird, wenn Ärzte nicht auch ihre Konnektivität zur weißen Substanz berücksichtigen“.

Grauzonen und nächste Schritte

Während die Autoren der Studie diese Ergebnisse als „ermutigenden“ Schritt zum besseren Verständnis der Geheimnisse des Gehirns betrachten, schreiben sie in dem Papier auch, dass sie bei weitem nicht narrensicher sind. So stützte sich die aktuelle Studie beispielsweise auf einen begrenzten Zeitrahmen und eine kuratierte Teilnehmergruppe (d.h. ungeschädigte und ähnlich alte Menschen). Um diese noch offenen Fragen in Zukunft zu klären, schlägt das Team vor, eine Studie über einen längeren Zeitraum mit einer vielfältigeren Gruppe von Teilnehmern durchzuführen, um zu sehen, wie sich diese Beziehungen im Laufe der Zeit verändern.