
NVIDIA und Mercedes – Gefahr für Tesla?
28. Juni 2020NVIDIA und Mercedes – Gefahr für Tesla?
Von Horst Buchwald, 28.6.2020
In der vergangenen Woche haben sich die Kräfteverhältnisse auf dem Automobilweltmarkt verändert. Wegen Corona übersahen dies viele Autofahrer.
Die Hauptakteure waren: Tesla, NVIDIA und Mercedes.
Was war da los?
J.D. Power machte den Auftakt. Die Marktanalyseexperten hatten nicht zum ersten Mal die Zahl der Mängel bei Neuwagen in den USA untersucht. Dabei wurden Fahrzeuge von 32 in den USA verkauften Marken in die Wertung genommen. Das Ergebnis war ein Hammer: Tesla landete auf dem letzten Platz – für keine andere Automarke berichten die Neuwagenbesitzer so viele Mängel.
Der Nachrichtensender CNBC hat sich gleich dahinter geklemmt und Besitzer eines neuen Teslas abgefragt. Haben Sie Probleme? Ja, vor allem über Lackmängel und schlecht sitzende Karosserieteile beziehungsweise ungleichmäßige Spaltmaße wurde geklagt. Die Kofferraumhauben liessen sich oft nur schwer öffnen und schließen. Viele Tesla-Fahrer berichteten von lauten Windgeräuschen. Außerdem quietschte und klapperte es häufig in Tesla- Fahrzeugen. Weitere Kunden beklagten auch, dass die Reichweite niedriger als erwartet sei oder die Reichweite falsch angezeigt werde.
Die Studie J.D. Power’s 2020 Initial Quality Study erfasste Mängel, die während der ersten 90 Tage nach Auslieferung der Fahrzeuge von den Besitzern entdeckt wurden. Der Vergleich erfolgt auf der Angabe der durchschnittlichen Mängelanzahl pro 100 Fahrzeuge einer Marke. Im Durchschnitt wurden von den Neuwagenbesitzern 166 Probleme pro 100 Fahrzeuge gemeldet. Tesla allerdings erreichte einen Wert von 250 Problemen auf 100 Fahrzeugen. Am besten schnitten Dodge und Kia ab mit jeweils 136 Problemen auf 100 Fahrzeuge.
Tesla nimmt allerdings nicht offiziell an der Studie teil, weil der Autobauer in 15 US-Bundesstaaten J.D. Power keinen Zugriff auf die Daten der Kunden erlaubte. J.D. Power konnte nach eigenen Angaben aber trotzdem rund 1250 Teslabesitzer in 35 anderen US-Bundesstaaten kontaktieren und deren Erfahrungen für die Studie auswerten. Die meisten der befragten Teslakunden fahren ein Model 3.
Die Studie von J.D. Power gilt in der Branche als Maßstab für Qualität. Je weniger Technologie in den Fahrzeugen einer Marke steckt, desto besser schneiden sie in der Regel in der Umfrage ab, da es weniger Probleme zu berichten gibt, so Dave Sargent, Vizepräsident für Automobilqualität bei J.D. Power.
Die Analysten geben jedoch zu, das sich die Probleme bei Tesla etwas von “traditionellen” Automarken unterscheiden. Fast ein Viertel aller von Neufahrzeugbesitzern angeführten Probleme hätten mit Infotainment zu tun. Die häufigsten Beschwerden richten sich gegen integrierte Spracherkennung, Android Auto/Apple CarPlay-Konnektivität, Touchscreens, integrierte Navigationssysteme und Bluetooth-Konnektivität.
Zusätzliches Pech für Tesla: Die Studie von J.D. Power erschien wenige Stunden, nachdem die US-Sicherheitsbehörden eine Untersuchung von Tesla-Modell-S-Fahrzeugen der Baujahre 2012 bis 2015 Ausfälle der großen Touchscreens des Fahrzeugs veröffentlicht hatten.
Die bisher größte Partnerschaft
Aufgepasst: „Paukenschlag im Autosektor“, hieß es an den Börsen. Chip-Gigant Nvidia hätte einen Großauftrag von Daimler für sein KI-Roboterauto-System erhalten. Ab 2024 werde die Nvidia-Architektur in jedem neuen Mercedes verbaut. Dieses ermögliche nicht nur autonomes Fahren auf Level 4 und selbständiges Parken. Das Auto der Zukunft werde zu einer Art iPhone, welches ständig Software-Updates erhält. Dank der Fortschritte „in Lichtgeschwindigkeit“ bei der Künstlichen Intelligenz, verbessere sich das System laut Nvidia permanent.
Das ganze Auto werde künftig von Anfang an auf Basis der KI entwickelt. „Das ist die bisher größte Partnerschaft im Auto-Business dieser Art“, freute sich Nvidia-CEO Jensen Huang. Und er sparte nicht mit Spitzen gegen Pionier Tesla, der sich als führend in diesem Bereich präsentiere. Aber er warnt: „Noch nie gab es so viel Computing-Power in einem Auto“.
Nachdem Tesla vor einem Jahr einen Chip mit 144 TOPS (trillion operations per second) präsentiert hatte, thematisierte Nvidia auf seiner Keynote beispiellose 2.000 TOPS – mehr als sechsmal so viel wie der bisherige Nvidia-Chip.
„Durchbruch für Nvidia“ in der Automobilbranche?
Der Deal ist gigantisch, meinte man erneut an der Börse. Diesmal war es Jeffries. Dort hatte man schon ausgerechnet, dass der Daimler-Vertrag pro Jahr zusätzliche 5,5 Milliarden Dollar in die Kasse von Nvidia spülen werde. Dabei beginne der Megamarkt Roboterauto-Chips doch erst zu wachsen: von heute fünf Milliarden auf bis zu 700 Milliarden Dollar, sobald 100 Millionen Autos fit für die Zukunft gemacht werden. Das kann also noch dauern. Dennoch behaupteten einige als „Insider“ auftretende Personen: „Das ist ein Durchbruch für Nvidia und eröffnet ein Geschäftsmodell mit wiederkehrenden Umsätzen im Zukunftsmarkt digitales Auto.“ Begründung: Ein großer Vorteil des Systems sei die Möglichkeit, es mit neuen Funktionen und Fähigkeiten zu aktualisieren.
“Es ist eine neue Ära für die Automobilindustrie, die traditionell lange Entwicklungszyklen hatte”, tönte denn auch der Chef von Nvidias Autogeschäft, Danny Shapiro, gleich hinterher, und wird sogleich von seinem Chef Jensen Huang ergänzt: Früher sei ein Auto beim Kauf am besten gewesen, jetzt könne es mit der Zeit dank Software besser werden . Mehr noch: Autos von Mercedes könnten 10 oder 20 Jahre auf der Straße bleiben – und mit der neuen Plattform auch diese gesamte Zeit mit Software aufgefrischt werden“ argumentierte er. Auf den Punkt gebracht heißt es : „Das Geschäftsmodell der Autoindustrie wird sich verändern.”
Hintergrund:
BMW und Mercedes stoppen Kooperation für autonomes Fahren
Wenige Tage zuvor hatten BMW und Daimlers Pkw-Tochter Mercedes-Benz ihre Entwicklungskooperation für hochautomatisiertes Fahren aus Kostengründen vorerst abgebrochen. Nach intensiver Prüfung seien sie zu dem Ergebnis gekommen, dass jetzt wegen des hohen Aufwands für eine gemeinsame Technologie und angesichts der konjunkturellen Rahmenbedingungen nicht der richtige Zeitpunkt dafür sei, teilten BMW und Daimler am Freitag mit.
Beide Unternehmen wollten eigene Entwicklungspfade verfolgen. Eine spätere Zusammenarbeit sei aber möglich. Als Folge der Corona-Krise sei das Geschäft der Autohersteller eingebrochen. Sie reagieren darauf mit Kostensenkungen und Personalabbau.
Erst im Februar 2019 hatten die rivalisierenden Autobauer ihr geplantes Bündnis bekannt gegeben und im Juli einen Vertrag über die langfristig gedachte Zusammenarbeit unterschrieben. Ziel war die gemeinsame Entwicklung der nächsten Technologiegeneration für Fahrassistenzsysteme und automatisiertes Fahren auf Autobahnen sowie automatisierte Parkfunktionen.
Ab 2024 sollten entsprechende Systeme in Pkw für Privatkunden verfügbar sein. Die Ziele waren hochgesteckt: Man werde sich die milliardenschweren Entwicklungskosten teilen und der Google- Tochter Waymo die Stirn bieten, hieß es wohl etwas zu großspurig.
Denn die Entwicklung dieser Technik gestaltete sich komplexer als gedacht. “Es braucht immer mehr Geld, immer mehr Software-Ressourcen und immer mehr Hardware-Know-how”, klagte erst kürzlich Waymo-Chef John Krafcik. Dabei war es Waymo zuletzt gelungen, seine jüngste Finanzierungsrunde um 750 Millionen Dollar auf drei Milliarden Dollar auszubauen. Zugleich drängen weitere kapitalkräftige US-Technologiekonzerne wie Amazon als Wettbewerber verstärkt in dieses Segment.
Autonom & aktualisierbar ab 2024
Und warum nun die Kooperation mit NVIDIA? Updates aus der Cloud, das kann aktuell eigentlich nur Tesla. Das soll sich ändern – dank NVIDIA . Los geht’s in 4 Jahren mit der nächsten Generation der E-Klasse.
Doch so einfach kann man aus einer analogen Mobilie kein hochvernetztes und intelligentes Fahrzeug zurechtzaubern. Bestes Beispiel: Tesla. Jahrelang haben sich vor allem die deutschen Autohersteller daran abgearbeitet, Tesla in Sachen Elektroantrieb nicht allzu weit davonfahren zu lassen, nur um jetzt lernen zu müssen, dass Teslas wichtigster Vorsprung gar nicht das Auto selbst ist, sondern die Kombination aus Sensorik, Vernetzung und der passenden Software. So ein Tesla liefert permanent Daten und wird per Over-the-Air-Updates (OTA) immer besser. Und zwar in allen Bereichen, vom Infotainment übers Navi bis hin zu den Assistenzsystemen.
Man kennt sich
Das haben sie jetzt auch unterm großen Stern begriffen.Außerdem ist die Zusammenarbeit mit NVIDIA nicht neu. NVIDIA liefert nicht nur die passenden Chips und die Software-Plattform für das gemeinsam mit Bosch aufgesetzte Level-4-Projekt, sondern steckt auch hinter der künstlichen Intelligenz des Mercedes-MBUX-Cockpits. Künftig geht die Kooperation allerdings noch deutlich weiter.
Gemeinsam mit NVIDIA wollen die Schwaben ein fahrzeuginternes Computersystem mit KI-Fähigkeiten aufbauen, das künftige Mercedes-Modelle in die Lage versetzt, automatisierte Fahrfunktionen und Assistenzsysteme anzubieten, die nicht nur permanent dazulernen, sondern auch upgradefähig sind. Ziel der Übung: Kommende Mercedes-Generationen sollen zum Beispiel Pendler-Strecken automatisiert fahren, im ersten Schritt mit dem menschlichen Fahrer als Aufpasser (Level 2 & 3), später dann bis hin zum selbstständigen Fahren (Level 4). Zusätzlich solle es zahlreiche weitere Sicherheits- und Komfortanwendungen geben, die es Mercedes-Kunden möglich machen, Software-Anwendungen und Abonnement-Dienste via Over-the-Air-Updates (OTA) kaufen und hinzufügen zu können. “So wollen wir die Sicherheitssysteme kontinuierlich auf dem neuesten Stand halten und damit auch den Wert des Fahrzeugs immer wieder steigern”, erklärte Mercedes-Chef Ola Källenius bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit NVIDIA-Boss Jensen Huang.
Modellzyklen kosten Zeit
Wann geht’s los? 2024. Das hört sich nicht gerade nach einem Hochgeschwindigkeitsprojekt an. Dafür gibt es schwerwiegende Gründe: In den Autos, die aktuell durchs Land jagen, sorgen zwischen 70 und 120 Steuergeräte dafür, dass die Elektrik tut, was man als Autofahrer gerne von ihr hätte: Elektrisch Fenster heben, die Lenkung unterstützen, die Bremskraft verstärken, radarbasiert den Abstand halten oder auch das Radio einschalten. Das Problem: Jedes dieser Steuergeräte spricht seine eigene “Programmier”-Sprache. In diesem Programmiersprachen-Babel das Auto per OTA-Update schlauer oder besser zu machen, ist schlicht unmöglich. Alleine schon deshalb, weil sich die digitale Infrastruktur von Baureihe zu Baureihe unterscheidet.
Deshalb braucht es eine komplett neue Fahrzeugelektronik. Entscheidend ist , dass sie die gleiche Sprache sprechen.
Mercedes-Betriebssystem in Entwicklung
NVIDIA wird für Mercedes künftig einen der zentralen Auto-Computer liefern. Nämlich den, der sich um das automatisierte Fahren und die Assistenzsysteme kümmert. Das System mit dem Namen Orin basiert auf der neuen Ampere-Supercomputing-Architektur von NVIDIA, die leistungsfähig genug fürs autonome Fahren ist. Daneben braucht es weitere Superhirne. Eines für die klassischen Fahrfunktionen. Und meistens noch eines fürs gesamte Infotainment. Als Basis soll ein neues Betriebssystem dienen. Seine Aufgabe: das gesamte Fahrzeug immer im Blick behalten. Daran arbeiten sie bei Daimler nun auch. Ihre Hoffnung: Wenn’s gut läuft, wird alles 2024 fertig und erlebt seine Weltpremiere in der nächsten Generation der E-Klasse. Die wurde aktuell aufgefrischt und passt mit ihrem Generationswechsel 2024 ideal ins Timing.
Ist das noch eine Zusammenarbeit mit NVIDIA oder hängt Mercedes ohne die Amerikaner total in der Luft, wenn die zum Beispiel mal andere Pläne haben sollten? Bei Mercedes denkt man jetzt doch nicht an sowas. Nein, das sei ja ein Partner, mit dem bereits erfolgreich Projekte umgesetzt wurden. Deshalb wurde auch die Kooperation mit BMW zum Thema autonomes Fahren auf Eis gelegt. Die Entwicklungszyklen der beiden Auto-Profis hätten schlicht nicht zueinander gepasst.
Dennoch klingt 2024, gemessen an den Maßstäben, die aktuell unter anderem Tesla vorgibt, wenig ambitioniert. Tatsächlich entspricht das Timing aber den Zeitplänen, an die die allermeisten Autohersteller gebunden sind. Und der Blick in die Zukunft heißt eben nicht, dass die kommenden Mercedes-Modelle bis 2024 nicht vernetzt sein werden. Die neue S-Klasse wird in diversen Bereichen Updates aus der Cloud beziehen können. Und auch MBUX-Autos werden digital frisch bleiben. Den digitalen Zugriff aufs ganze Auto gibt es aber eben erst ab 2024.
Doch weder Tesla noch Waymo bleiben stehen. Somit ist nicht ausgeschlossen, das der Vorsprung der Amerikaner noch gewachsen ist.
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